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Michael Sailstorfer

Text von Max Hollein

Umformungen, Kontextverschiebungen, räumliche Inbesitznahmen – sehr rasch erkennt

man in Sailstorfers Arbeiten sein Interesse an den Dingen des Alltags, den Materialien
der unmittelbaren Umgebung, seine hemdsärmelige Faszination für die spezifische Identitätund Geschichte dieser Objekte und die Schicksale, die diese evozieren können, kurzum die inhärenten Assoziationen, die sie auslösen und die sich Sailstorfer nun zu Nutze machen kann. Dabei nimmt er sich diese Objekte regelrecht vor, sie werden zerlegt, auseinandergenommen, deformiert, adaptiert, neu zusammengesetzt, deplatziert, umgedeutet und umgewidmet. Eine solche Deformation von Sinn und Zweck des Objekts unter Ausnutzung und Beibehaltung seiner formalen Qualitäten hat nicht eine Zerstörung zur Folge, vielmehr ist das Ziel eine Neuanordnung und Bedeutungsumschichtung. Dabei ist sowohl der Raum, den sie einnehmen, als auch der Raum, der sie umgibt von essentieller Bedeutung. Selbst kleinere Objekte von Sailstorfer sind in diesem Sinne Installationen, inhaltlich integral mit der Identität des Ortes der Aufstellung verbunden.

Das ist die erste, formal rezipierbare Ebene. Doch das macht noch nicht die Stärke
und Originalität von Sailstorfers Arbeiten aus. Denn in all seinen Arbeiten schwebt auch
ein ungemein poetischer Geist. Ein Gefühl für Sentiment, das nicht konstruiert oder kalkuliert ist, sondern das integraler Bestandteil der Werke selbst ist und vom Künstler mit absoluter Sicherheit erspürt wird. Selbst sein Lehrjahr am Goldsmiths College in London, einer der Kaderschmieden für theorielastiges künstlerisches Arbeiten, hat Sailstorfer von diesem Weg nicht abgebracht, im Gegenteil, vielleicht sogar weiterhin bestärkt. Nahezu erleichtert erkennen wir, dass sich dieser Künstler nicht in den Wirren einer hochkomplexen, selbstreferenziellen, formalästhetischen Objektanordnung verliert, sondern sich als praktischer Träumer in der beseelten Welt der Dinge erweist. Es sind das Aufblitzen der Sehnsucht bei der Zielsetzung, die melancholische Komik der Umsetzung und die bewusste Tragik im Moment des Erreichens der Ziele, die die Arbeiten von Sailstorfer so außerordentlich machen.

Sternschnuppe (2002), die für mich bisher großartigste Arbeit von Michael Sailstorfer,
hat eine ungemein poetische Kraft in der Idee, eine nahezu komisch-gefährlich
technoide Anmutung in der Ausführung und eine bis ins Herz gehende tragische Note im
Resultat: Der Künstler entpuppt sich zuerst als romantischer Träumer, der nicht mehr auf
den lieben Gott angewiesen sein möchte, wenn ihn der Wunsch überkommt, eine Sternschnuppe am Himmel sehen zu wollen. Es ist kein beherrschender, sondern ein nahezu kindlicher Wunsch, einmal selbst ein solches emotionsgeladenes Naturphänomen produzieren zu können. Dazu passt – ob wahr oder nicht – das Geständnis des Künstlers, dass dies eine Arbeit für seine neue Freundin gewesen sei, für die er einen hellen Stern in den Himmel schießen wollte. Jugendlich träumerischer geht es kaum noch. Was sich die
Freundin erwartete, wissen wir nicht, aber die Realität ist dann auch oft brachialer als
das erste Bild der Vorstellung: der aus diesem Traum resultierende sailstorfersche Apparatus aus einem Mercedes W123 mit Katapultfunktion und eingespannter Straßenleuchte wird zum waffenähnlichen Sternschnuppenabschussapparat. Es ist die simple Umsetzung einer simplen Idee mit simplen Mitteln. Die Sternschnuppe von Sailstorfer, das Surrogat für die schwärmerisch rezipierte Wirklichkeit kommt nicht an das angestrebte Wunder des Naturphänomens heran – die Straßenlaternensternschnuppe fliegt höchstens 15 Meter weit und verglüht nicht im Äther, sondern zerschellt auf dem feuchten Rasen der bayerischen Provinz. Der Akt allerdings hat seine eigene Schönheit. Die Realität ist oft weniger ästhetisch oder romantisch als der Traum. Aber der Wille zählt. In diesem Sinne sind Sailstorfers Objekte und Installationen Ding gewordene Geschichten, fiktive, oft surreale Erzählungen einer individuellen Gefühlswelt.

Selbstporträt mit selbst gestricktem Nasenwärmer (2004), das ist der humorvolle,
simple Dinge bastelnde nette Künstler, der die handgemachte rote Nase entwickelt und
mit dieser praktischen Objekt- und Produktionsform dann doch eine tragische Note und
eine Träne im Knopfloch trägt. Diese Mischung aus Komik und Tragik ist auch im Werk
3 Ster mit Ausblick (2002) inhärent, wo sich ein Holzhaus durch einen Ofen selbst verheizt. Auch sein Polizeiauto, das zum Schlagzeug (2003) wurde, macht einen relativ traurigen Eindruck – das hat das Polizeiauto so sicher nicht gewollt. Schon von Claes Oldenburg und seinen Soft Drum Sets wissen wir, wie es um die Stimmung solcher Objekte beschieden ist, wenn man erst einmal ihre Vertrauen erweckende Originalkonsistenz verändert hat. Sailstorfer bezieht bewusst auch Strategien der Kunst vergangener Generationen ein, nutzt diese, demaskiert aber auch die Tragik ihrer Ernsthaftigkeit. So etwa bei Waldputz (2000), der radikalen Eroberung von künstlerischem Raum in wildester Natur durch die Etablierung eines von Hand akribisch gereinigten Waldstücks. Eine künstlerische Aktionsstrategie, die der eines Richard Long oder Michael Heizer nicht nachsteht und doch in der Absurdität der Aufgabe, in der Akribie des Vorgangs und in der Vergänglichkeit des Resultats ein sehnsüchtiges, utopisches und auch tragisches Vorgehen darstellt. Dabei gilt Sailstorfers Interesse dem Endstadium und nicht dem Prozess, der dazu führt. Dies wohl auch wegen der großen narrativen Kraft, die seine Objekte an sich schon haben. Das finale Objekt des künstlerischen Willens beinhaltet eine sehr eigene Geschichte, insofern wäre die Darstellung des prozessualen Vorgangs, um diesen Zustand zu erreichen, nur destruktiv für diesen hochqualitativen Erzählzustand.

Sailstorfers methodische Stärke ist dabei die simple, praktische Herangehensweise.
Ein Modellbastler für eine andere Sicht der Welt und eine Neuanordnung der einfachen
Dinge. Dieser Geschichtenerzähler geht mit Akkubohrer und Stichsäge zur Sache
und hat die Situation fest im Griff – Sie wollen sehen, wie aus einem Segelflugzeug ein
Baumhaus wird? Kein Problem, das haben wir gleich – und so werden zwei Sportflugzeuge rasch zum Standardprodukt des jugendlichen Eskapismus umfunktioniert. Seine Installationen basieren auf simplen, nachvollziehbaren Grundstrukturen und sind keine technischen Experimentalanordnungen. Oft geht es dabei auch um das menschliche Streben als Selbstbeschäftigung und Artikulation, um die Notwendigkeit, Spuren zu hinterlassen bzw. diese auch wiederum zu zerstören.

Es gibt kaum eindrucksvollere, melancholischere und träumerischere Arbeiten
über ebensolche Seinszustände wie auch über das künstlerische Streben, welches sich in
gerade diesen Gefühlslagen artikuliert, wie Bethlehem (2004), einer selbst entwickelten,
fahrbaren Heils- und Freudenbotschaft, oder Elektrosex (2005), der Gegenüberstellung
von sich über Entladungen vereinenden, ansonsten ewiglich unbeweglich auf Distanz platzierten Straßenlaternen. Konfrontiert mit diesen sinnlichen, rational nachvollziehbaren, in der Umsetzung ungemein praktischen aber gleichzeitig absurden Arbeiten erkennt man die Poesie der Sehnsucht, die Euphorie innerhalb des Prozesses des Erreichens und die Melancholie bei Erfüllung der Aufgabe. Heimat, Reise, Ankunft, Beziehung – Sailstorfer, dieser surreale Geschichtenerzähler rund um grundlegende Themen unseres Daseins als Individuum ist vor allem ein Wiederentdecker des Sentiments in der Kunst und im Objekt unserer Zeit.